Schubladendenken

Haben Sie schon einmal in der Zeitung gelesen, dass nach einem Überfall ein “südländischer Typ” weggelaufen ist oder mit russischem Akzent gesprochen wurde? Wie man dann gleich weiß, ist mit solchen Leuten nicht zu spaßen. Wir ordnen gleich ein ganzes Volk in unserem Hirn in typische Schubladen, aus denen man nur schwer entkommen kann.
Dazu ein Beispiel: wir fahren nicht nach Polen, da wird doch gleich unser Auto geklaut – oder: die Franzosen wissen, was Erotik pur ist – und so weiter. Wir ordnen unsere Welt mit einfachen Schablonen in Schubladen und lassen dort keine Änderungen zu.
Aber auch in unserem persönlichem Umfeld geht das so: kommt jemand auf uns zu, den wir nicht mögen, verdrehen wir die Augen und wissen bereits, was er uns sagen will. Wir hören gar nicht mehr hin, das kennen wir schon!
Auch bei mir finde ich diese Einordnungen in meinem Denken immer wieder: Den Typen kenne ich, der hat noch nie etwas Gescheites hinbekommen – die ist mir schon immer unsympathisch gewesen – jetzt kommt wieder die Labertasche und vieles mehr. Ich mache mir ein genaues Bild vom anderen und bilde mir dann ein, genau zu wissen, mit wem ich es zu tun habe. So ordne ich anderen Menschen eine Rolle zu, die sie bei jedem Erscheinen bei mir einnehmen.

Auch Jesus erging das damals so: als er nach einiger Zeit einmal wieder nach Hause nach Nazareth kam und in der Synagoge predigte, spürte er, wie die Menschen um ihn herum ihn in seine Rolle pressten: “das ist doch ein Zimmermann, was redet der denn da? Den kennen wir doch, das kann der doch gar nicht! Der soll doch besser bei seinem Holz bleiben!”

Das ist offensichtlich eine große Gefahr unseres menschlichen Denkens: wir stecken andere in Schubladen, aus denen nur schwer zu entkommen ist; selbst wenn Menschen sich ändern, ihr Leben neu in den Griff bekommen und einen anderen Lebensentwurf durchsetzen wollen: sie bleiben häufig einzementiert in ihren oder besser gesagt in unseren inneren Vorstellungsrollen stecken!

Und so konnte Jesus in seinem Heimatort auch keine Wunder tun, seinen Predigten glaubte man nicht und es entstand das geflügelte Wort, das noch heute gilt, dass ein Prophet im eigenen Land kein Ansehen genießt!

Das sollte uns aber stets eine Mahnung sein, im anderen, im Gegenüber immer wieder neu einen Menschen entdecken, der sich ändert, der sein Leben gestaltet, der neue Töne und Farben auch in mein Leben bringen kann, was man nicht in “Schubladen” pressen sollte: Das verändert lange bestehende Beziehungen einer Ehe, wo man doch alles bereits vom anderen zu wissen glaubt und kein weiteres Gespräch mehr braucht. Das verändert unser Denken über Flüchtlinge bei uns in Quickborn, die eigentlich nur unsere Sozialsysteme ausnutzen wollen, die wir aber bisher nie zu Gesicht bekommen haben. Das verändert unser Bild von Jugendlichen, die doch nur immer rumlungern und Ärger machen und noch Grün hinter den Ohren sind.

Wenn wir also versuchen, hinter den Schubladen den sich ändernden Menschen in seiner Vielfalt zu sehen, der sich entwickelt und entfaltet, dann kann ein lebendiges Miteinander gelingen. Das ist eine Herausforderung, ein Abenteuer, ein toller Versuch, auf den wir uns einlassen sollten. Denn es garantiert Überraschungen, immer etwas Neues und Vielfältiges, das man Leben nennt, das echt „Lebens-wert“ ist.

Dr. Christoph Balbach