Mission in Liebe

Liebe Schwestern und Brüder,

missionarisches Wirken zielt darauf hin, in die Lebenswelt anderer einzudringen. Dabei wird unterstellt: dem anderen fehlt noch was. Doch was ist das, was dem anderen fehlt? In unseren Vorstellungen könnten wir viel zusammentragen.

Bewegt hat mich der französische Spielfilm (2010) „Von Menschen und Göttern“. Millionen von Menschen sahen diesen auf einer wahren Geschichte (1996) beruhenden Film. Neun französische Trappistenmönche lassen sich, so die Handlung, in einem kleinen Ort in Algerien nieder. Dabei gelingt es ihnen, vertrauensvolle Beziehungen zur islamischen Dorfbevölkerung aufzubauen. So wird einer der Mitbrüder vielen Hilfsbedürftigen des Ortes medizinisch zur Seite stehen. Seine Hilfe wird sehr gern wahrgenommen.

Der Abt des Klosters liest nicht allein die Bibel und die Legendensammlung des hl. Franziskus sondern auch den Koran. Er liest sozusagen parallel, sucht das Gemeinsame zwischen Islam und Christentum, sucht die Verständigung. Für ihn gehören die Religionen zusammen, denn alle hätten ein und denselben Gott. Die Dorfbevölkerung kennt seine Einstellung, lädt ihn zu Feierlichkeiten ein. Er und seine Mitbrüder genießen im Ort Achtung und Anerkennung. Bei gemeinsamen Gebeten entdecken sie sprachliche Überschneidungen: „Herr, erbarme dich unser“ beten sowohl Muslime als auch Christen.

Die französischen Mönche scheinen im fremden Umfeld angekommen zu sein, doch der Schein trügt. Die politische Verunsicherung der algerischen Gesamtbevölkerung legt sich nieder auch über den Alltag dieses kleinen Ortes, Auseinandersetzungen und Zerwürfnisse nehmen zu. Die Mönche geraten mehr und mehr in den Verdacht, religiöse Agenten des verhassten Westens zu sein. Es geht so weit, dass Islamisten wie tyrannische „Götter“ nach Blut und Opfer verlangen. Die Schlimmste aller Vorstellungen tritt ein …

An diesen Film musste ich denken, als Navid Kermani (*1967) am letzten Sonntag (18.10.) in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015 verliehen bekam. „Über die Grenzen – Jacques Mourad und die Liebe in Syrien“: diese Überschrift gab der im Iran geborene Moslem und Orientalist seiner sehr beachtenswerten Rede, in der er von der aktuellen bedrückenden Lebensgeschichte von Pater Jacques Mourad erzählte. Zusammen mit anderen katholischen Ordensfrauen und -männern, die die muslimische Tradition berücksichtigten, sogar mit ihr leben und diese auch mitfeiern, wurde Pater Jacques Mourad im syrischen Bürgerkrieg bedroht und schlimmsten Verfolgungen ausgeliefert. Dabei trugen, so Navid Kermani, die christlichen Mönche und Nonnen in einem kleinen syrischen Ort überzeugend viel zu einer vorausblickenden endzeitlichen Versöhnung bei.

Ein bewegender Moment trat ein, als Navid Kermani zum Abschluss seiner Rede alle Anwesenden zu einem gemeinsamen Gebet einlud. Ein Moslem besaß einfach den Mut, in aller Öffentlichkeit sowie live durch Rundfunk und Fernsehen übertragen für bedrohte Christen in Syrien zu beten. Ist ein glaubwürdigeres Bild von Geschwisterlichkeit unter den Religionen vorstellbar? Der Friedenspreisträger Navid Kermani schenkte allen Anwesenden, Zuschauenden und Zuhörenden in der Frankfurter Paulskirche einen Augenblick, den niemand so schnell vergessen wird.

Im Laufe der letzten Jahrhunderte hatten auch Christen zu lernen, was das Wesen missionarischen Wirkens ausmacht. Es kommt nicht darauf an, Herrschaft auszuüben oder eine bestimmte Kultur zu exportieren. Was sich wirklich lohnt weiterzugeben ist ausschließlich die Liebe. Zu verstehen ist damit Toleranz sowie Verständnis unter den Menschen, unter den Völkern, unter den Religionen. Christen sind davon überzeugt, dass diese Liebe ein Gesicht hat und einen Namen trägt: Jesus Christus. Seine Liebe kennt keine Gewalt und keinen Vernichtungswillen, seine Liebe kennt auch keine Grenzen. Eher wird Jesus sich selber zur Verfügung stellen und sein Vermächtnis einlösen: „Es hat keiner eine größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh 15,13).

An diesem Weltmissionssonntag haben wir zu denken an die vielen Frauen und Männer in allen Teilen der Welt, die unter für uns nicht vorstellbaren Bedingungen den Glauben an die göttliche menschgewordene Liebe weitergeben. Wie bei den genannten Beispielen in Algerien oder in Syrien geht ihr Bemühen dahin, diese Liebe auch zu leben. Sie wissen, wenn es den Menschen an etwas mangelt, dann ist es ein Mangel an Liebe. Auch wenn es das eigene Leben kostet, hat missionarisches Wirken im Geiste Jesu nichts anderes weiterzugeben als das Geschenk göttlicher Liebe. Wer das verstehen kann, ist über alle Grenzen der Religionen auch bereit zu beten: „Herr, erbarme dich unser.“

Pfarrer Wolfgang Guttmann