Die Heilige Schrift als Quelle des Trostes

Liebe Schwestern und Brüder,

kann man auf die Predigt Jesu noch etwas draufsetzen? Schon beim Hören ist man tief ergriffen. Die Worte der Bergpredigt Jesu (Mt 5,1-12a) haben Tiefenwirkung. Sie sind trostreich und erbaulich.

Erinnerungen kommen bei mir auf an die Nachkriegszeit. Ich war noch ein Kind. Dennoch kann mich noch an die Hörerwünsche beim Rundfunk erinnern. Wenn Wunschkonzert angesagt war, wurde vergleichsweise oft gerade jene Passage aus der Oper des Evangelimann gewünscht, die an diesem Sonntag während der hl. Messe vorgetragen wird: „Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen; denn ihrer ist das Himmelreich.“ (https://youtu.be/jZ3Gmt4mJr0)

Die Oper „Der Evangelimann“ ist ein Werk des österreichischen Komponisten Wilhelm Kienzl (1857-1941). 1895 wurde sie zum ersten Mal aufgeführt. Ort der Handlung ein typisch Wiener Hinterhof: spielende Kinder, Leierkastenklänge und eine Lumpensammlerin. Sie hadert mit ihrem Schicksal und erinnert sich wehmütig an die schönen Tage ihrer Kinder- und Jugendzeit. Schließlich erscheint der Evangelimann und trägt Worte des Evangeliums vor. Diese Gestalt gab es in Wien tatsächlich. Vornehmlich samstags und sonntags zitierte als würdige und freundliche Erscheinung in der Öffentlichkeit Worte aus der Heiligen Schrift. Nach ihm benannte Kienzl seine Oper. So singt der Evangelimann Worte aus der Bergpredigt Jesu: „Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich“. Die Kinder im Hinterhof bemühen sich, ihm nachzusingen. Schließlich entsteht ein mehrstimmiger Chor. Durch die Worte der Bergpredigt Jesu werden die Lumpensammlerin sowie alle Umstehenden im Innern ergriffen, Ermunterung und Trost kommt auf.
Für mich ist es noch heute nachvollziehbar, weshalb Menschen, die sich restlos schuldlos vorkommen, aber während des Krieges viel Schlimmes mitmachen und erleiden mussten, gerade diese Klänge und diese biblischen Worte als göttlichen Trost vernehmen wollten.

Wenn Menschen sich Trost zusprechen, dann ist das schon viel. Wieviel Tiefenwirkung besitzt dann aber erst jener Trost, den Gott einem zuspricht. Die Bibel, das Wort Gottes, ist Quelle des Trostes überhaupt. Der Apostel Paulus weiß davon, wenn er schreibt: „Gott tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, andere zu trösten“ (2 Kor 1,4).

Was wäre unser Leben ohne die Heilige Schrift, ohne das Wort Gottes. Diese Kraftquelle kann man sich nicht oft genug aneignen. Und das nicht nur zu besonderen Anlässen wie beispielsweise bei der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten. In Amerika ist es Tradition, bei der Vereidigung die Hand auf die Bibel zu legen, diesmal war es nicht nur ein Exemplar, diesmal sogar zwei. Ob so ein Präsident weiß, was in der Bibel drin steht? Das Beste wäre, die Bibel bliebe nicht geschlossen. Am besten, er schlägt sie auf, liest darin und macht sich diesen Inhalt für seine Person zu Eigen.

Wir befinden uns im Lutherjahr. 500 Jahre Reformation. Martin Luther gehört mit zu denjenigen, die den Blick des Christen stets neu auf die Heilige Schrift lenken. „Sola scriptura“ sagt der Theologe Martin Luther, nur allein die Schrift, die Heilige Schrift, sei für ihn maßgeblich für sein christliches Denken und Handeln. Da vor fünfhundert Jahren in unserem Kulturbereich auch die Buchdruckerkunst aufkam, gab es Bibelexemplare nicht allein in Klöstern oder Kirchen, sondern auch zu Hause, in den eigenen vier Wänden. Die Bibel fand mehr und mehr Verbreitung. Gefördert wurde diese Maßnahme in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt auch durch Stuttgarter Bibelwerk. Diese katholische Einrichtung arbeitet im ökumenischen Geist.

Die Bibel unter Glaubensschwestern und – Brüder teilen, das hat viel mit Ökumene zu tun. Bei uns in Quickborn machen wir das schon seit vielen Jahren. Stets am Anfang eines neuen Jahres finden die Ökumenischen Bibelabende statt. Kommenden Dienstag starten wir wieder zu einem vierwöchentlichen Abendzyklus, diesmal mit Abschnitten aus dem Matthäusevangelium, wie die Worte der Bergpredigt, die wir heute im heute Evangelium gehört haben. Ich lade Sie ausdrücklich ein, mit dabei zu sein.

Aus der Heiligen Schrift heraus leben, bedeutet: Ich verlasse mich nicht nur darauf, was andere als Bibelauslegung zu bieten haben. Ich mache mir selber Gedanken, was die Bibel mir zu sagen hat. Und dann kann man wunderbare Entdeckungen machen. Ob ich dann selber auftrete wie ein Evangelimann oder eine Evangelifrau, das bleibt jedem selbst überlassen. Wahrheit aber ist, die Bibel weiß viel über Gott, aber sie weiß auch viel über den Menschen. So steht der Gedanke der Umkehr und der Hinwendung des Menschen zu Gott natürlich im Mittelpunkt der Botschaft des Evangeliums. Erstaunlich aber ist, wie grenzenlos weit sich eine göttliche Liebe uns zuwendet, die uns neu leben lässt und die uns Zuversicht und Trost schenkt: „Selig sind …“ Das ist die Predigt Jesu. Und da ist wirklich nichts mehr draufzusetzen.

(Pfarrer Wolfgang Guttmann)