Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist

Angeblich gibt es in Deutschland weit über 300 Brotsorten. Brötchen und brotähnliches Gebäck ist in der Zahl nicht inbegriffen. Die deutsche Brotbackkunst wird als kulturell so wertvoll und erhaltenswert angesehen, dass es sogar Überlegungen gibt, die Brotbackkunst in Deutschland in das Unesco-Weltkulturerbe aufzunehmen. Brot gehört zum Speiseplan, weltweit. Bei uns ist es allerdings zu einer kulinarischen Köstlichkeit geworden. Es wird als Vorspeise gereicht mit Olivenöl, Kräutersalz, einem Dipp oder zum Tunken. Es gibt Fleisch in der Brotkruste, Suppe in der Brot-Terrine, überbackende Sandwiches usw.

Anders als früher ist Brot zum Sattwerden nicht mehr zwingend erforderlich. Viele verzichten sogar auf Brot, um abzunehmen, um so Wohlstandsgewicht zu verlieren. So, wie bei uns geht es natürlich nicht überall zu auf der Welt. In einigen Regionen ist es genauso, wie bei uns vor noch gar nicht allzu langer Zeit. Die Menschen wären froh, täglich verlässlich Brot zu essen zu haben. In den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden war die Situation ähnlich. Das Vorhandensein von Brot bedeutete das Überleben. Es war nicht nur Grundnahrungsmittel, sondern vielfach auch das einzige, was für die breite Masse verfügbar und bezahlbar war. Und wenn man symbolisch über “arm und reich“ spricht, steht das Brot immer auch als Sinnbild für „arm“ und die große Diskrepanz zwischen arm und reich.

Wenn wir also heute in unserer Region Brot nicht mehr zu unseren allerersten Grundbedürfnissen zählen, warum beten wir dann regelmäßig mindestens einmal pro Woche, viele vermutlich sehr viel öfter, im Vater unser: „Unser tägliches Brot gib uns heute“? Was meint Jesus im heutigen Evangelium mit der Aussage: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben“? – Sicher hat Jesus in dieser Parabel ganz bewusst den Bezug zur leiblichen Speise „Brot“ hergestellt, einem Grundbedürfnis des Menschen, zumindest der breiten Masse, dem nicht vermögenden Teil des Volkes. Aber Jesus will nicht zur körperlichen Sättigung dienen und er verspricht auch keine Unsterblichkeit in unserer irdischen Hülle. Unser Körper bleibt sterblich und wird verfallen.

Das, was Jesus im heutigen Evangelium sagen will, kommt eindrucksvoll durch die Legende von der heiligen Elisabeth von Thüringen zum Ausdruck, die sich sehr für die Armen eingesetzt hat. Im Übrigen ist sie die Patronin der Caritas. Elisabeth wurde bereits mit 14 Jahren als ungarische Prinzessin mit dem Sohn des thüringischen Landesfürsten verheiratet. Dem Landesfürst gefiel das Engagement Elisabeth’s für die Armen überhaupt nicht und ihr wurde unter Androhung einer rigorosen Strafe verboten, Bedürftige zu unterstützen. Als sie dennoch Brot in einem mit einem Tuch abgedeckten Korb zu den Armen brachte, wurde sie von Soldaten des Landesfürsten aufgehalten und ertappt. Auf die Frage, was sie in ihrem Korb transportiert, antwortete sie: „Blumen!“ Als sie nach Aufforderung das Tuch vom Korb anhob, befanden sich im Korb tatsächlich Blumen; das Brot hatte sich in Rosen verwandelt. So entkam Elisabeth der Strafe.

Die Rosen stehen als Symbol der Liebe und der Aufopferung für andere. Für nichts anderes steht Jesus. Liebe, Barmherzigkeit, Güte und Toleranz – das sind die Werte, die Jesus in seinem Handeln, in seinen Predigten und den Gleichnissen verkündet hat, und die er selbst verkörpert. Wenn Jesus sich als Brot des Lebens darbringt, dann ist damit die Erfüllung, die Befriedigung von Grundbedürfnissen gemeint. So, wie die Speise “Brot“ zur körperlichen Sättigung führt, so ist es die Liebe Jesu, die der Seele die Erfüllung und Befriedigung bringt.

Auf der ganzen Welt wird das “Vater unser“ gebetet. “Unser tägliches Brot gib uns heute“ ist die Bitte, dass Jesus uns offen und empfänglich werden lässt für die Rosen, für die Speise der Seele: für die Liebe, für die Barmherzigkeit, für die Güte und für die Toleranz – jeden Tag. Wir sollen die Liebe Jesu als Grundbedürfnis, als tägliches Brot ansehen, als etwas, das uns tagtäglich begleitet und widerfährt. Keinesfalls sollten wir dieses Brot des Lebens zur kulinarischen Köstlichkeit werden lassen, die wir nur zu besonderen Anlässen zu uns nehmen. Und es sind ja oft die kleinen Dinge, die schon so viel bewirken: ein Dankeschön, die Rücksichtnahme im Straßenverkehr, ein liebes Wort, das Reichen der Hand zur Versöhnung, der Verzicht auf Vorurteile.

Und so dürfen wir, immer wenn wir die Heilige Kommunion in Empfang nehmen, darum bitten und darauf hoffen, dass Jesus uns die Fähigkeit verleiht, in diesem Sinne zu handeln und uns entsprechend zu verhalten, um so das ewige Leben mit Christus zu erlangen.

(Jürgen Kuper)